Was ist los mit Israel?

In Deutschland wird die israelische und zionistische Version der Geschichte weitestgehend akzeptiert. Sie basiert jedoch auf einer Ansammlung von Mythen, die das Ziel verfolgen, das moralische Recht und das ethische Verhalten der Palästinenser ins Zwielicht zu rücken und ihren Anspruch auf ihr Land als illegitim erscheinen zu lassen. Dass diese Geschichtsklitterung funktioniert, liegt daran, dass diese Mythen von den Mainstream-Medien und der politischen Klasse in Deutschland als Wahrheit akzeptiert werden und bei jeder sich bietenden Gelegenheit dem Volk unter die Nase gerieben werden. Eine Bildungseinrichtung spielt dabei eine verhängnisvolle Rolle, und zwar die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) in Bonn, die, anstatt Aufklärung in ihren Publikationsorganen in Sachen Nahostkonflikt zu betreiben, den zionistischen Propaganda-Narrative verbreitet.

Der im britischen Exil lebende israelische Historiker Ilan Pappe hat in seinem jüngsten Buch „Was ist los mit Israel?“ sich mit den zehn Hauptmythen des Zionismus auseinandergesetzt und sie als das entzaubert, was sie sind, nämlich Legenden, bestehend aus Halbwahrheiten und Fabrikationen von Geschichte. Der Autor konfrontiert die zionistischen Mythen mit der Realität vor Ort und klopft erstere daraufhin ab, ob sie der Wahrheit standhalten. Ohne eine solche unvoreingenommene Betrachtung der Geschichte könne es keinen dauerhaften Frieden in der Region geben, so Ilan Pappe. 

Den Running Gag der zionistischen Geschichtsklitterung bilden die Erzählungen vom „leeren Land“ Palästina, in das ein Volk ohne Land nach 2000jährigem Exil endlich „nach Zion“ zurückgekehrt sei. Dieser Mythos fand in dem Slogan vom Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land seinen prägendsten Ausdruck. Dass es sich dabei um eine Legende  handelt, haben Historiker zur Genüge aufgezeigt und nachgewiesen. Palästina war über Jahrhunderte hinweg eine entwickelte und blühende arabische Gesellschaft und hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar eine Zeitung namens „Filastin“. Gerade die Deutschen sind von den zionistischen Geschichtsmärchen so fasziniert, dass das Buch wie gerufen erscheint, um hier für Klarheit durch Tatsachen zu sorgen.

Pappe hält es für weniger wichtig, ob die Juden als ein Volk existiert haben als vielmehr, dass die Zionisten die Existenz eines palästinensischen Volkes bestreiten und mit dem Anspruch auftreten, dass der Staat Israel sämtliche Juden der Welt repräsentiere und alles nur um ihretwillen tue und für sie handle. Dies ist ein ebenso verwegener Anspruch wie die Gleichsetzung von Zionismus und Judentum. „Der Zionismus war nur eine von vielen Arten der Praktizierung des Judentums seit dessen Entstehung, und als er entstand, war er, selbst nach dem Holocaust, nur eine der möglichen Antworten auf den Antisemitismus.“ Ein nicht unerheblicher Teil der Judenheit lehrt nicht nur den Zionismus als eine Häresie ab, sondern auch den Staat Israel, den sie für einen „Frevel gegen Gott“ halten. Die Zionisten beriefen sich ebenfalls auf die Bibel, aber sie diente ihnen nur als Mittel zum Zweck. Der höchste Prophet des Zionismus, Theodor Herzl, zog sogar Uganda anstelle des Gelobten Landes Zion in Erwägung. Auch andere Länder standen zur Auswahl, letztendlich fiel die Wahl auf Palästina. „Von da an wurde die Bibel sowohl zur Rechtfertigung als auch zur Richtschnur der zionistischen Kolonisierung Palästinas“, schreibt Pappe. Für ihn ist der Zionismus eine „koloniale Siedlerbewegung“. Das Elend und die Leidensgeschichte der einheimischen Bevölkerung begann mit der Ankunft der Zionisten in Palästina.

Der Autor rückt weitere israelische Geschichtslegenden ins rechte Licht wie zum Beispiel, dass die Palästinenser 1948 das Land freiwillig verlassen hätten oder dass Israel im Juni 1967 keine Wahl hatte, als die umliegenden arabischen Länder anzugreifen, da eine tödliche Gefahr für das Land bestanden habe. Pappe legt überzeugend dar, dass die Palästinenser weder freiwillig gingen noch von ihren Politikern aufgefordert worden sind, zu gehen, sondern sie wurden von den verschiedenen zionistischen Milizen durch Anwendung von Terror zur Flucht gezwungen und vertrieben. Wie formulierte es doch einer der führenden Terroristen der damaligen Zeit, der spätere Ministerpräsident Menachem Begin in seiner Autobiographie: „Ohne Deir Yassin hätte es kein Israel gegeben.“ In dem palästinensischen Dorf verübten die zionistischen Terrorbanden ein Massaker an der Zivilbevölkerung.

Auch die zionistische Darstellung über die Umstände des Sechstagkrieges halten einer historischen Überprüfung nicht stand. Es bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines Angriffs arabischer Armeen auf Israel, sondern Israel führte einen präventiven Angriffskrieg, auf den es sich jahrelang präzise vorbereitet hatte. Die Aussagen der führenden Militärs und Politiker der damaligen Zeit lassen daran keinen Zweifel, gleichwohl hält sich die Legende vom kleinen David gegen den übermächtigen Goliath, insbesondere innherhalb der deutschen politischen Klasse hartnäckig.

Neben dem Mythos von der „einzigen Demokratie des Nahen Ostens“ bestimmt der Mythos vom „Friedensprozess“ den Narrative im Westen. Israel sei weder eine Demokratie im klassischen westlichen Verständnis, sondern eher eine Demokratie eigenen Rechts, sprich sui generis, oder noch präziser: eine Ethnokratie. Und der „Friedensprozess“ von Oslo habe keinen Frieden, sondern noch mehr Kolonisierung palästinensischen Landes gebracht. Ob der Westen an seinem Wunschtraum von der Zwei-Staaten-Lösung glaubt, darf eher bezweifelt werden, da die israelische Politik darauf abzielt, gerade diese zu verhindern. Tatsächlich existiert bereits jetzt die „Ein-Staaten-Lösung“, nämlich Israel herrscht über ganz Palästina und hat sich zu einem Apartheidstaat entwickelt.

Ilan Pappe schlägt in diesem Buch ein Bresche für die historische Wahrheit, der sich das israelische politische Establishment stellen muss, wenn es an Frieden interessiert ist. Für die deutsche Leserschaft und Öffentlichkeit sollte dieses Buch ein absolutes Muss sein. Besonders empfehlenswert wäre es für die staatliche politische Bildung, insbesondere die Bundeszentrale für politische Bildung, in deren einseitigen Nahostprogramm es besonders hervorstechen würde.

 

4 Gedanken zu „Was ist los mit Israel?

  1. Gerd Weghorn

    Ich darf dieses sehr informative Rezension um zwei Anmerkungen erweitern.

    Anmerkung 1: es ist die Rede von einer „israelischen und einer zionistischen Version der Geschichte“, doch wir sollten uns bewusst machen, dass es keine „israelische“ Version geben kann, weil es keinen „Israeli“ gibt.
    Was es in „Israel“ gibt, das sind Juden, Araber und Drusen, die laut dem „israelischen“ Staatsbürgergesetz ethnisch unterschieden werden, wobei den Juden, die in Israel das Sagen haben, die Nürnberger Gesetze von 1935 als Grundlage dieser Absonderung / Apartheid dienen.
    Die von Pappe kritisierte Version ist also – wie ihr „jüdischer“ Staat Israel und das israelische Staatsbürgergesetz – nach zionistischem (!) Selbstverständnis eine „jüdische“ Erfindung, die Pappes Vorwurf der „Ethnokratie“ begründet.

    Anmerkung 2: Israel ist so lange keine Demokratie, wie Art. 3 GG in diesem Land keine Geltung hat bzw. praktische Anwendung findet, dem zufolge niemand wegen seiner Abstammung und seiner Religion bevorzugt bzw. benachteilitgt werden darf.

  2. Alexander

    Ihr seid allesammt Verleumder.
    Das jüdische Volk kommt tatsächlich aus der Region des heutigen Israel.
    Den Juden wurde im Mittelalter die Rückkehr ins eigene Land verwehrt, aber das Leben in Deutschland massiv erschwert.
    Wo die Juden endlich ihr Land zurück haben, wird ihnen das nicht gegöhnt.

    Ob Israel nun eine Demokratie ist oder Apartheid, ist ihre Sache. Deutschland war auch mal eine Nazi-Diktatur.

    Was ihr von Juden verlangt ist wie man von Deutschen folgendes verlangen würde:
    Deutschland den Ausländern, Deutsche Raus!
    Angela Merkel, weiter so! (mit den Flüchtlingen)

  3. Pingback: Länderbericht Israel | Between the Lines – Ludwig Watzal

  4. Pingback: Gisela Dachs (Hrsg), Länderbericht Israel | Der Semit

Schreibe einen Kommentar