Der 1,250 Kilogramm schwere Länderbericht Israel wird auf dem Klappentext mit dem lapidaren Satz eingeleitet: „Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten.“ Dieser Satz stellt das unumstößliche Dogma des Westens dar und wird wie eine tibetanische Gebetsmühle bei jeder sich bietenden Gelegenheit heruntergeleiert. Dieses „demokratische“ Israel gleicht jedoch eher einer Ethnokratie als einer Demokratie westlicher Prägung. Das Land versteht sich als „Villa im Dschungel“ oder als „Vorposten gegen die Barbarei“, umzingelt von „wilden Tieren„, wie dies zuletzt Benjamin Netanyahu so blumig ausgeführt hat.
Alle Beiträge bewegen sich im Rahmen der „zulässigen“ Israelkritik, was in einem von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) veröffentlichten Buch über Israel nicht überrascht. Die Leser/innen werden in zwölf Kapitel umfassend informiert, wenn auch einseitig. Im Einzelnen werden behandelt: Ideengeschichte des Zionismus, die Rolle der Religion, das politische System und die Vielschichtigkeit der israelischen Gesellschaft, die Armee, die Außenpolitik, der israelisch-palästinensische Konflikt, die nationale Gedächtniskultur, die Beziehungen zu Deutschland u. v. a. m.
In einem Beitrag über „Sport in Israel“ setzt sich Moshe Zuckermann mit dem Konzept des „Muskeljudentums“ auseinander, das sich bewusst als Gegenentwurf zum Diasporajudentum verstand. Gleichwohl ist das „Muskeljudentum“, was die Medaillenausbeute bei den Olympischen Spielen im Vergleich zu den Leistung der Diasporajuden angeht, mager ausgefallen. Die körperliche Ertüchtigung spielte innerhalb der zionistischen Ideologie eine zentrale Rolle, frei nach dem Motto „mens sana in corpore sano“. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper ist auch Voraussetzung für einen „gesunden“ Militarismus, der alle Bereiche der israelischen Gesellschaft durchzieht.
Es ist verwunderlich, dass Moshe Zuckermann es als Autor in dieses Buch geschafft hat. Aber bei dem unverfänglichen Thema Sport in Israel konnte wenig „Schaden“ angerichtet werden. Zuckermann erwähnt auch die drei wichtigsten Fußballvereine, die sich entlang der zionistischen Zersplitterung gebildet haben. Ein Beitrag über den revisionistischen Club „Beitar“ und dessen offen zur Schau gestellten Rassismus und Nationalismus wäre schon deshalb erhellender gewesen, weil es u. a. auch in Deutschland oft zu Hassausbrüchen von Fans in den Fußballstadien kommt.
Der israelisch-palästinensische Konflikt wird nur in einem Beitrag, und zwar von der Herausgeberin abgehandelt. Alles, was dort vorgetragen wird, ist das Konventionelle, das immer nur einen Teil der Wahrheit darstellen kann. Das Dachs Arafat in einem schlechten Licht erscheinen lässt, ist wenig überraschend. Er erwies sich in Sachen israelische Sicherheitsinteressen als „unzuverlässiger Vertragspartner“, darüber hinaus war er „doppelzüngig“. Ich erspare den Leser/innen die weiteren Stereotypen, die man zuhauf im Beitrag findet. Dass sich die diversen israelischen Regierungen ebenfalls nie an ihre Abmachungen gehalten haben, findet keinerlei Erwähnung. Arafat wurde von Beginn des so genannten Friedensprozesses vom israelischen Sicherheitsestablishment getäuscht und hinters Licht geführt. Die Kolonisierung wurde trotz „Friedensprozess“ fortgesetzt. Waren 1993 erst zirka 100 000 Kolonisatoren in den Besetzten Gebieten und Ostjerusalem, so sind es heute 600 000. Nach Dachs werden die Israelis von zwei Albträumen in punkto „Palästinenserstaat“ heimgesucht, und zwar, „dass es keinen geben wird – und dass es einen geben wird.“ Diese emotionale Hängepartie dürfte sich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag fortsetzten.
Überraschenderweise wurde der arabischen Minderheit in zahlreichen Artikeln viel Platz eingeräumt, was wenig überraschend ist, da sie ein Fünftel der israelischen Gesellschaft ausmacht und eine stark diskriminierte Minderheit darstellt. Die Palästinenser in der Westbank, im Gazastreifen und Ostjerusalem kommen nur als Konfliktpartei vor. In ihren Gebieten hat Israel ein perfektes Apartheid-Regime etabliert, das schlimmer ist als das in Südafrika jemals hätte sein können. Selbst im Kernland Israel ist es dem Establishment gelungen, eine Art „israelische Apartheid“ zu errichten, wie es der britische Journalist Ben White genannt hat.
Alle Beiträge zeichnen ein geschöntes Israelbild, was nicht verwunderlich ist, hatten doch zwei Israellobbyisten und Mitglieder der deutsch-israelischen Gesellschaft aus der Bundeszentrale ihren Einfluss geltend gemacht. Kritische israelische Autoren muss man mit der Lupe suchen. Erst kürzlich hat der im englischen Exil lebende Historiker Ilan Pappe sein Buch „Was ist los mit Israel?“ im Cosmics Verlag veröffentlicht, das der israelischen historischen, politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit wesentlich näher kommt als der vorliegende Wälzer. Was er über Zionismus und den Nahostkonflikt schreibt, hebt sich deutlich von den Schönfärbereien eines Michael Brenner oder einer Gisela Dachs ab.
Die Herausgeberin rechtfertigt die Marginalisierung der Palästinenser als „Konfliktpartei“ damit, dass über „ihre Lebenswirklichkeiten“ ein eigener Band berichten müsste. Dass dies unter dem Herrschaftsregime eines Thomas Krüger, Präsident der BpB, niemals geschehen wird, dürfte auch Gisela Dachs klar sein. Eher geht die Welt unter, als dass unter Krüger ein „Länderbericht Palästina“ erscheint.
Die BpB ist mit diesem Band ihrem Auftrag der Ausgewogenheit nicht nachgekommen. Wer sich die Palette der Israel-Publikationen anschaut, wird diese These bestätigt finden. Es wurde ein „schwergewichtiges“ Propagandaprodukt produziert, das Krüger wohl einen Orden irgendeiner zionistischen Organisation einbringen dürfte. Dieses Buch dürfte die Herzen aller Israellobbyisten und Sanayim höher schlagen und die des deutschen Steuerzahler bluten lassen.
Gisela Dachs (Hrsg.) Länderbericht Israel, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2016, Seiten 765, 4,50 Euro + Versandkosten, da über 1 kg.
Arafat als „unzuverlässiger Vertragspartner“?
Bis heute habe ich folgenden Aufsatz der FAZ vom 30.06.2006 klar in Erinnerung:
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten-frontalangriff-auf-die-hamas-1333596.html
Günther Nonnenmacher nennt Arafat „zwielichtige Figur“. Ich erwartete es von der FAZ,
die ich schätzte und noch schätze, nicht.
War das auch im Rahmen der „zulässigen“ Israelkritik?